Nibel

Aus „Herdfeuer 23“ (2009)

„Jeder Mann ist ein Held – in seinen Träumen“

Seitdem ich diesen Satz vor vielen Jahren gelesen habe, lässt er mich nicht mehr los. Gerade unter jungen „Asatru-Helden“ hat das Kriegertum viele Anhänger, und nicht wenige kommen über den Wunsch, ein „Krieger“ sein zu wollen, zu unserer Religion. Und genau über diese Kriegerschiene kam auch ich zu den alten Göttern, die mir nun, nach etlichen Jahren der Kriegerdroge, endlich auch einen anderen Weg zu sich zeigten. Die folgende Geschichte widme ich allen jungen Kriegern und meinem verstorbenen Vater.

„Halte doch endlich deine Hände ruhig, damit wir anfange können!“

So habe ich meine Hände noch nie gesehen, verschnürt und überzogen mit weißer, klebriger Bandage. Eben bekomme ich auch noch dicke Fäustlinge übergezogen und festgeschnürt. Mein Gegenüber zieht sich ebenfalls Handschuhe an, die sehen aber nicht so aus wie meine.

„O, jetzt nimm die Deckung und hoch und schlag auf meine Hände!“

Ich hebe meine Fäuste vor da Gesicht und beginne zu schlagen.

„Fester schlagen, und vergiss deine Deckung nicht!“

Ich schlage fester, aber unmerklich fällt dabei meine Deckung zu tief aus. Ich spüre einen leichten Streich im Gesicht.

„Thomas, ich habe dir doch gesagt, du sollst auf deine Deckung aufpassen!“

Angefeuert von meinem Gegenüber beginne ich wieder zu schlagen, bis ein weiterer Streich mein Gesicht trifft. Es tut eigentlich nicht wirklich weh, aber tief in mir hinterlässt jeder Streich eine Wunde – angefüllt mit Wut.

„So, nun üben wir die Rechts-Links-Kombination, und denke an die Deckung.“

Ich versuche mich nun auf meine Deckung zu konzentrieren, aber auch die kleinste Lücke wird entdeckt und mit einem Wangenstreich geahndet.

„Fester, schneller, Fäuste hoch!“ tönt es.

Schwups, wieder ein Treffer in meinem Gesicht. Tränen steigen in mir hoch, nicht vor Schmerz, es ist einfach nur Wut. Auf einmal höre ich meine Mutter schreien, sie ist gerade aus der Küche gekommen und hat den Lärm gehört.

„Hans, meinst du nicht, dass Thomas mit seinen 5 Jahren dafür noch ein wenig zu jung ist?“

Mein Vater lässt seine Hände fallen, darauf habe ich geartet, meine angestaute Wut verbietet mir das Denken. Ich sehe nur das ungeschützte Gesicht meines Vaters und schlage so fest zu, wie es einem Fünfjährigen nur möglich ist. Ich lande meinen Treffer genau auf einen Augendeckel meines Vaters.

„He, das war ein guter Schlag,“ und im Aufstehen zu meiner Mutter gewandt: „Du siehst doch, dass es ihm Spaß macht, seinen alten Herrn zu verdreschen, außerdem ist er in ein paar Wochen schon 6 Jahre und ich möchte keinen Waschlappen zum Sohn.“

So lernte ich im Winter 1971 das Boxen, aber wie ein Krieger fühlte ich mich dabei noch nicht. Nur abends, nachdem mein Vater mir wieder eine Gute-Nacht-Geschichte von Siegfried, Hagen, Dietrich von Bern und seinem Waffenmeister Hildebrand oder auch von Achill, Paris, Herkules erzählte, träumte ich davon, ein großer Held zu werden und meine Vater stolz auf mich zu machen. Nicht lange danach, im September 1972, wurde ich eingeschult. Die meisten, die mich heute kennen, würden es nicht glauben, aber ich war der Kleinste und Schmächtigste in meiner Klasse. Von den „kräftigen“ Jungs nicht akzeptiert und zum Teil wegen meiner zierlichen Statur als Mädchen gehänselt, war ich trotz meiner Boxkenntnisse der Omegajunge meiner Klasse und meilenweit davon entfernt, ein Krieger, geschweige denn ein Held zu sein. Mein Problem war, dass ich mich zu schnell einschüchtern ließ und dadurch ein e „Schlaghemmung“ entwickelte, die verhinderte, dass ich mich zur Wehr setzen konnte.

Mein Vater arbeitete nun fast jeden Abend daran mit diese Hemmung zu nehmen, es sollte ihm aber erst gelingen, als ich in die 4. Klasse kam. Diesen Tage werde ich nie vergessen: Unser Klassenschläger, der mich die ganzen Jahre über verprügelte und piesakte, lag mit einer von mir blutig geschlagenen Nase auf dem Boden, und ich fühlte mich erstmals in meinem Leben als wirklicher Held. Wie die Helden in den Märchen und Sagen erhielt ich auch eine angemessene Belohnung. Es war nicht nur ein „Blauer Brief“, den ich von meiner Lehrerin wegen unsozialen Verhaltens erhielt, sondern mein Vater baute im Keller unsers Hauses auch eine Luftdruckschießanlage und schenkte mir als „Belohnung“ ein Luftdruckgewehr, mit dem er mir nun auch das Schießen beibrachte. Dass ich dann im Alter von 14 Jahren auch einem Schützenverein beitrat, sei hier nur am Rande erwähnt.

Das war auch die Zeit, in der ich mich mehr und mehr wieder für die einstmaligen „Gute-Nacht-Geschichten“ zu interessieren bergan. Die Auswahl der Bücher war nicht leicht, da mein Vater über sehr viele Sagenbücher verfügte So verschlang ich also zunächst die Erzählungen über die griechischen Götter und Helden, danach folgen einige römische Sagen, zu den Germanen und ihren –Göttern kam ich- ohne die Gründe dafür erklären zu können – erst zum Schluss.

Aber als sei es erst gestern gewesen, meine ich mich an den Tag erinnern zu können, an dem ich mein erstes Buch über die germanischen Göttersagen beendete. Ich lag auf dem Sofa im Wohnzimmer, klappte das Buch zu und sagte halblaut zu mir: „Das waren halt noch Götter, nicht so weich wie der Jesus.“ Mein Vater, der sich auch im Zimmer befand, fragte einfach nur: „Warum waren? Sie sind auch heute noch genauso real oder Fiktion wie z.B. moderne christliche Idole.“ Scherzhafte fragte ich dann, ob die Krieger Odins immer noch mit dem Schwert üben oder ob sie mittlerweile Gewehre haben. Als Antwort kam ein Einfaches: „Es liegt an dir, ob du das eines Tages weißt oder nicht.“

Ich würde meinen Vater eigentlich nicht als Asatru-gläubig bezeichnen. So wie ich ihn noch in Erinnerung habe, war er Atheist mit einem leichten Hang zu europäischer Mythologie und Heldensagen. Aber seine Antwort legte einen Schalter in meinem Hirn um, dort machte es laut „Klick“, und mein Weg schien vorbestimmt. Ich musste einfach den Weg des Kriegers gehen. Um später nicht in Verlegenheit zu kommen, wollte ich mich an alten und neuen Waffen versuch. Es sollte egal sein, ob Sturmgewehr und Handgranaten oder Schwert und Schild. Wenn der ewige Wanderer ruft, würde ich bereit und ausgebildet sein.

Die erste wichtige Hürde war die Einstellungsprüfung als Zeitsoldate bei der Bundeswehr. Ich trainierte mit meinem Vater nun fast täglich: Boxen, Schießen, Liegestütze, Situps, Seilspringen und Waldläufe.

Ich hatte drei Jahre Zeit, um mich vorzubereiten. Auch geistig versuchte ich mich für den Weg des Kriegers fit zu machen, aber rückblickend muss ich zugeben, dass es mehr ein Odin-Monotheismus war, den ich da zelebrierte. Das änderte sich auch nur wenig, als ich kurz vor meiner Einberufung zur Einstellungsprüfung in einer Bibliothek ein Buch über germanische Kriegerbünde und ihr Verhältnis zu Wotan fand.

Ich bestand die zweieinhalbtätige Prüfung und ging im Januar 1985, also anderthalb Jahre nach meiner mittleren Reife, als Panzergrenadier zur Bundeswehr. Vorerst nur für vier Jahre, aber das Hauptziel war natürlich Berufssoldat. Mein Glück schien perfekt zu sein, ich wurde an sämtlichen Handfeuerwaffen, Kampfmitteln und auch im Nahkampf ausgebildet. Aber dieses Glück sollte leider nicht sehr lange anhalten.

War es einfach nur Pech oder rächte es sich nun, dass ich die anderen Götter einfach ignoriert hatte? Jedenfalls wurde ich bei einem von mir selbst verschuldeten, dummen und leichtsinnigen Unfalls während meiner Dienstzeit derart verletzt, dass an eine Verlängerung meiner Verpflichtung nicht mehr zu denken war. Das war ein harter Schlag, ich überlegte und betete nächtelang um eine Lösung. Wie kann ich „meinem Odin“ als Krieger auffallen, ohne wirklich Berufskrieger zu sein?

Kaum im zivilen Berufsleben angekommen, richtete ich meine komplette Freizeit darauf aus, mich „kriegerischen“ Dingen z widmen. Ich spielte American Football, trat in den Reservistenverband ein, um weiterhin etwas soldatische Ausbildung zu erhalten, besuchte zwei Kendo-Kurse, einen für Aikido und ließ mir den Walknut stechen Der Gedanken, nicht mehr als richtiger Krieger vor meinem Gott stehen zu können, löste regelrechte Panikattacken in mir aus.

Das änderte sich erst, als ich während eines Dänemark-Urlaubs Kontakt mit einer Asatrugruppe aus Hvide Sande hatte. Durch eine Magen-Darm-Grippe meines mitreisenden Freundes waren wir gezwungen, länger als geplant Station in Hvide Sande zu machen. Bei meinen abendlichen Streifzügen durch die Gegend traf auf ich eine Gruppe junger Dänen, die alle den Thorshammer trugen. Wie ich dann mit dieser Gruppe ins Gespräch kam, würde Seiten füllen, darum erspare ich uns das. Nur so viel sei gesagt: Ein Wettsaufen gehörte auch dazu.

In den restlichen fünf Tagen unseres Aufenthalts lernte ich durch diese Gruppe mehr über die germanischen Götter, als in all den Jahren zuvor aus den Sagenbüchern meines Vaters. Zurück in Deutschland vertiefte ich mein Wissen und versuchte meinen „neuen“ Glauben zu leben. Und diesmal hatte ich wirklich Glück (oder sich ich es jetzt Heil nennen?), nach und nach steckte ich langsam aber sicher meinen Freundeskreis mit den „alten Göttern“ an. Eines meiner ersten Opfer, das nicht direkt an Odin ging, war ein silbernes Herz an einer Kette, die ich Freyja anlässlich meiner Verlobung mit Brigitte opferte. In dieser Zeit, Anfang der 90er Jahre, fällt auch die Gründung der Sippe Mannheim. Natürlich war Odin immer noch mein absoluter Favorit unter den Göttern, aber er war nicht mehr allein.

Die Sippe wird dieses Jahr 18 Jahre alt, meine Ehe mit Brigitte 13 Jahre, und mein Sohn Sven feierte im letzten Dezember seinen achten Geburtstag. In all diesen Jahren wurde die Flamme des Kriegers immer kleiner. Auch Odin – heute nenne ich ihn lieber Wodan- meldet sich immer weniger bei mir zu Wort, dafür erzählen mittlerweile Freyja und Frigga umso mehr.

Der Krieger in mir ist natürlich nicht gestorben, er schläft nur jetzt gerne etwas länger und ab und zu darf er auch nach draußen, damit er mit Schwert und Schild und den anderen „kriegerischen“ Jungs spielen kann.

Meinen Sohn Sven werde ich nicht zum Krieger erziehen, außer er selbst wünscht es eines Tages.